Review zum Album Ascension von Avalanche Effect
Foto: Avalanche Effect
Ebenfalls brandneu über Artistfy erschienen: Avalanche Effect - Ascension. Ascension ist das Debütalbum von dem doch noch recht jungen Quintett aus Münster/Dortmund. Für diejenigen, die sich fragen was der Avalanche Effect tatsächlich ist und nicht googeln möchten: Der Avalanche Effect stammt aus der Kryptographie und ist ähnlich wie der Butterfly Effekt - eine minimale Veränderung führt zu großen Konsequenzen/Veränderungen. Wie nett gerade in dem Zusammenhang, dass die erste Single-Auskopplung auch den Namen Butterfly trägt.

Avalanche Effect selbst beschreiben ihre Musik als Alternative Metal. Was das heißt? Laut ihrer Facebook page: „Melodische Hooks zum Mitsingen und Breakdowns für den Mosh-Pit!“ Offen gesagt klingt diese Beschreibung für mich nach klassischem Metalcore, aber ich lasse mich gern überraschen! In dem Zuge habe ich mir Ascension direkt in voller Länge angehört - und meine Gedanken dazu zu Papier gebracht. Gespannt was ich zu Ascension sagen kann? Ich auch!

1. Phase I: As Above

Eröffnet wird das Album mit Regengeräuschen, Ridebell und einer angenehmen zweistimmigen Melodie mit crunchigen Gitarren. Sie ebnen den Weg für eine weitere Melodie, die sich „oben drauf“ setzt, die hellhörig werden lässt: Ein Ton klingt so, als wolle er nicht so richtig zur Melodie passen - der liegt in einer anderen Skala. Solche Ausflüge gefallen mir sehr, wenn sie souverän umgesetzt sind. Da sämtliches „Beiwerk“ zu dieser Melodie sich auch tatsächlich souverän und stetig aufbaut sag ich hier: coole Idee! Klar - Regengeräusche sind mittlerweile ein Klassiker in dem Genre, aber dass es noch Bands gibt, die das Herzblut in ihr Album stecken und einen eigenständigen Intro-Track schreiben? Ich bin neugierig…

2. Yesterday Told Me

Eingeleitet durch China-Becken-Einzähler startet Yesterday Told Me überraschend Oldschool! 6/8 Takt mit schönen Akkorden und ikonischer Melodie. Erwartet hätte ich nach dem Einzählen entweder ein Blastbeat-Gewitter oder einen Breakdown der brutalsten und langsamsten Sorte. Auch nach dem Intro geht es melodisch weiter. Die Strophe hat schon fast etwas Balladenartiges.

Viel wichtiger aber: Wir haben es hier mit Clean-Vocals zu tun! (FINALLY!!!) Die Aufmachung ist simpel und gefällt. Auch der Chorus kommt druckvoll mit ordentlich Power ohne dabei den Szenekrieg „Wer kann am brutalsten?“ mit zu spielen. Die zweite Strophe wirkt aufgrund des kantigeren Riffings und der Rhythmik etwas härter, ist aber immer noch in einem erstaunlich melodiösem Spektrum unterwegs und löst sich passend in den nächsten Chorus auf. Auf diesen Chorus folgt dann der erste Breakdown dieses Albums.

Und auch wird scheinbar das „Wer ist die böseste Band“-Spiel nicht mitgespielt - die Vocals sind hier zwar Shouts, allerdings ist der Breakdown Riff tatsächlich ein Riff und kein Staccato-Binärcode-Breakdown. (Ich habe mich tatsächlich neulich erst gefragt wann es wieder griffigere Breakdowns geben wird oder ob das schon längst nicht mehr cool ist…) Aber ja, jedes Goldstück hat auch eine Rückseite: Es folgt das Gitarrensolo als Outro. - Wer Reviews von mir oder mich selbst kennt weiß: Gitarrensoli sind leider echt nicht meins…

3. Butterfly

Butterfly ist der Song, den sich die Band ausgesucht hat und bereits vor dem Album inklusive Musikvideo veröffentlicht hat. Mit einer stolzen Länge von 6:18 überschreitet er in der gängigen Praxis leider schon die Radiotauglichkeit. Das Intro lohnt sich aber: ein hypnotischer Chor (echt gesungen - keine Digitalinstrumente) mit massivem Buildup mündet in ein fast schon rockiges Djent-Riff inklusive dissonanter Melodie drüber.

Dass die erste Strophe anfängt mit Überbleibseln vom Riff und kaum noch Schlägen von Drums ist auch etwas, was ich lange nicht gehört habe. Bietet sich in dem Kontext an und gefällt und fällt leicht in den vollständigen Groove zurück. Allerdings wirkt der erste in diesem Song platzierte Shout etwas deplatziert - liegt hier wahrscheinlich an der Produktion. Der Chorus allerdings dürfte viele Zuhörer des Genres ansprechen! Die Gesangführung erinnert hier stark an Hits der Band System Of A Down und ist auch gut performt.

Die Überleitung in die zweite Strophe sowie die zweite Strophe selbst kranken leider etwas an ihren eigenen Längen. Hier wird der Song etwas zäh für meine Ohren - genau das richtige für die, die sich in diesen Groove richtig reinlegen mögen. Nach einem zweiten Chorus folgt ein Breakdown - an der Stelle tatsächlich auch vorhersehbar und wenig spektakulär. Dient allerdings als legitime Grundlage für das Gitarrensolo. Die anschließende Bridge wirkt etwas unstrukturiert, als würde sich der Song in unterschiedliche Richtungen entwickeln und den Roten Faden abgeben… Auch das Outro lässt mich eher mit Fragezeichen im Gesicht zurück.

Vielleicht habe ich die Intention nicht verstanden, vielleicht klingen mir die einzelnen Instrumente aber auch nur zu stark voneinander separiert in dem Falle sodass sie in dem Breakdown nicht gemeinsam sondern einzeln auf mein Trommelfell einschlagen…

4. Pathless

Auch Pathless wartet mit „Überlange“ auf: 5 Minuten ist dieser Brecher lang - und klingt für mich nach klassischem Metalcore wie ihn viele spätestens seit Bullet For My Valentine kennen und lieben gelernt haben. Eine Strophe mit Cleangitarren und angenehmen Clean Vocals sowie ein Chorus mit Distorted Guitars, noch mehr Clean Vocals - alles durchgängig im Halftime-Feel versteht sich. Schwermut wird in diesem Song groß geschrieben.

Die zweite Strophe ist auch in diesem Song sehr lang, wirkt aber hier nicht so, da ab hier ein anderer Sänger zu hören ist, auch durch den zweiten Chorus. Eine tolle Auflockerung im Arrangement und eine ansprechende Farbänderung im Klang. Der Breakdown in diesem Song ist eher minimalistisch gehalten: Weder hören wir hier extrem tiefe Töne (abgesehen vom leider zu übertriebenen Subbass), noch irgendwelche „bombastischen“ Spielereien. Das Detail was diesen Breakdown sahnig werden lässt sind die Bendings. Da kann ich mir extrem gut vorstellen, dass der Live einschlägt wie eine Bombe. Was folgt, ist ein weiterer klassischer Metalcore Evergreen: Der letzte Chorus wird auf Halbgas eingeleitet und steigt dann wieder voll ein. In sich ein wirklich stimmiger Song! (Sogar das Gitarrensolo ergibt hier am Ende großen Sinn!)

5. Phase II: So Below

Phase II also… Hier begrüßt mich ein weiterer Instrumentaltrack, dieses Mal aber extrem sphärisch mit einer Geräuschkulisse die mich hin und her reißt: Befinde ich mich über oder unter Wasser? Die gespielten Akkorde und Melodien sind ebenfalls wieder simpel, gespickt mit interessanten Modulationen in der Chordprogression.

Hat etwas von moderner Filmmusik und gefällt mir wirklich gut! Hier habe ich das erste Mal das Gefühl, dass mich die Musik an einen anderen Ort bringt und ich so langsam das Drumherum um mich ausblenden kann. Die Dramatik steigert sich wieder konstant subtil bis hin zum Knall, der den nächsten Song einleiten darf… (Starkes Ding!)

6. Sick Of You

Sick Of You fängt mit einem echten Nackenbrecher Riff an. Wer hier den Kopf still hält und nichtmal mit dem Fuß wippt, scheint sämtliches Rhythmusgefühl irgendwo abhanden gekommen zu sein. Der Riff packt - die Strophe verwirrt zunächst: Hier reihen sich viele Tempo-Feel Wechsel aneinander, die in der ersten Hälfte der Strophe leider mehr nach einem verwirrten Schlagzeuger als nach Absicht klingen. Allerdings mündet das ganze in einen doch recht souveränen Breakdown. Die Spoken-Word Passage im PreChorus gefällt mir besonders gut, allerdings verliert der Song mit dem Einsetzen des Chorus ein wenig an Power.

However: hier ist ein verdammt cooler Tonschlenker am Ende des Chorus! Der hätte mit hardcore-Autotune nicht geklappt. Sehr cool! Die zweite Strophe will mir leider wieder nicht so recht in die Knochen gehen… Der Breakdown ist hier taktisch klug platziert: er überrascht. Und anstatt direkt mit dem Chorus weiterzumachen wird vorher noch einmal der PreChorus hervorgezaubert - well done! Nach dem zweiten Chorus hatte ich das Gefühl, der Song hätte jetzt auch zu Ende sein können. Stattdessen belohnt er den Hörer mit einer Art „Abspann“: Cleangitarren mit wirklich toll verformten Vocals. Hier alles andere als ein unnötiges Outro!

7. Blind

Blind startet mit einem simplen Drumgroove und einem echt mächtigen Gitarrenriff - die Melodie, die kurz darauf einsteigt erinnert stark an dissonante Extras, die ich schon bisher innerhalb der anderen Songs gehört habe. Die Strophe ist grooveorientiert und überzeugt hier mit gut phrasiertem Gesang. Der Chorus allerdings plätschert doch eher vorbei ohne großes Aufsehen zu erregen, der hätte ein wenig kantiger gekonnt tatsächlich.

Runde 2 von Strophe und Chorus läuft souverän weiter und wird gefolgt von einem relativ langem Buildup, der trotz Einsatz des Gesangs irgendwie nicht ganz zum Ziel kommt - der Breakdown gibt dem Song in diesem Fall tatsächlich eine gehörige Portion Struktur und Masse zurück! …allerdings ist er dann auch schon leider vorbei.

8. Trust In Vain

Mit einer extrem stolzen Länge von 7 Minuten ist Trust in Vain der längste Song des Albums. Der Song hat die Zeit, also nimmt er sich auch die Zeit für ein sphärisches Intro. Es entfaltet sich im Kontext zwar ein Stück weit Entspannung, aber irgendwie ist auch klar, dass das nicht lange so bleiben wird - spätestens beim ersten unerwarteten Akkord in diesem Intro.

Der eigentliche Start des Songs findet sich allerdings erst nach ca. einer Minute. Auch dieser Song klingt erstmal stark nach klassischem Metalcore und punktet ähnlich wie die Vorgänger durch den Gesang. Da ich mich anscheinend ohnehin ständig wiederhole in diesem Review, es aber vielleicht noch nicht ganz klar ist: Ich bin ein ganz großer Fan davon, dass Avalanche Effect hauptsächlich Cleanen Gesang verwenden! Denn wie sagte schon Glenn Fricker: „You want to sound original? SING! Your voice is the only instrument you have that is really unique!“ …vielleicht ist der Gesang gerade auch der Grund, weshalb der Song trotz seiner Länge nicht ganz so zäh ist, wie zunächst erwartet. Das Gitarrensolo in diesem Song ist für mich tatsächlich das schönste Gitarrensolo des Albums (oder in meiner Welt: Das einzige auf diesem Album das nicht nur Sinn ergibt sondern mir auch noch wirklich gut gefällt).

In der Bridge bin ich sehr angetan von der subtilen Dynamik im Gesang - schönes Detail und schön, dass das in der Post-Produktion nicht plattgewalzt wurde! Wobei… Den Teil nach dem Solo als Bridge zu bezeichnen ist in diesem Falle eher unpassend: Der Song ist danach schon vorbei! Genau in dem Moment, wo ich die Zeit bereits vergessen habe…

9. The Writer’s Hands

Der letzte Song von Ascension eröffnet mit einer Melodie, die schon fast etwas Marsch-artiges hätte, würde das Schlagzeug nicht zunächst straight einsetzen und hinterher doch noch in den Shuffle wechseln. Gestaffelt geht es auch in der Strophe weiter: Groovy und gerade durch das Shuffle-Feeling mit einem Riffing, was so noch nicht auf diesem Album zu hören war. Auch zum Schluss lohnt es sich nochmal ein wenig genauer hin zu hören.

Der Chorus brachte mich spontan zum Schmunzeln - irgendwie erinnerte er mich im ersten Moment ein wenig an die Beatsteaks. Auch hier verfahren Avalanche Effect nach dem klassischen Schema den Strophen und Chori eine zweite Runde zu gönnen: warum auch nicht? Groovt und macht Spaß! Der „Ausstieg“ aus diesem Album ist ebenfalls gelungen. Ein brutaler Breakdown (vielleicht sogar der härteste des Albums?) mündet in einem - wie sollte es auch anders sein - Gitarrensolo mit anschließendem wundervollen Outro.

Der Gesamteindruck

Ascension ist definitiv auf seine eigene Weise sehr interessant. Der überwiegende Einsatz von Clean Vocals in diesem Genre statt 90% mit Shouts/Growls/Pig Squeals/YouNameIt zu füllen fällt mir sehr positiv auf! Auch die kleinen Details die in den Songs stecken, wie etwa Modulationen oder Skalen-Spielereien machen Spaß und klingen „frisch und anders“ - weil’s irgendwie auch nicht mehr so viele machen - dabei zeigen Avalanche Effect auf diesem Album ziemlich gut, dass das im Kontext super funktionieren kann. Woran dieses Album leider krankt ist die Produktion.

Der Sound ist insgesamt doch sehr trocken und steril. Die Instrumente sind zwar gut voneinander separiert, vielleicht aber auch schon zu gut. Es fehlt ein wenig Punch da hin wo’s knallt und ein wenig räumliche Dimension. Hall/Delay/Reverb ist auf dieser Scheibe das wohl sparsamste Mittel. Kann cool sein, ich hätte mir an dieser Stelle etwas mehr gewünscht. Auch die Arrangements wirken für mich entweder ein Stück zu durchschaubar oder irritieren mich eher, als dass sie mich vollends überzeugen. Ich finde diese Veröffentlichung dennoch extrem wichtig.

Bei Avalanche Effect handelt es sich um eine Band, die wahrscheinlich mächtig Selbstvertrauen hat: Sehr bewusst wird hier nicht darauf gepocht Metal zu spielen, der möglichst hart ist. …wollen wir nochmal über Clean Vocals reden? Und auch die Tatsache (auch wenn es mir nicht immer positiv im Kontext aufgefallen ist), dass sie sich in Sachen Melodieführungen, Chordprogressions und Songstrukturen trauen, Sachen anders zu machen als es im Genre Gang und Gäbe ist find ich sehr cool und sehr authentisch.

Den Wiedererkennungswert von Avalanche Effect würde ich demnach wesentlich höher einschätzen als bei anderen Bands aus dem Genre in der gleichen „Liga“.


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